Allgemeine Hinweise zum Studienanfang in Mathematik
Die Arbeit an der Mathematik kann Freude bereiten, und zwar auch schon für Sie als Anfänger*innen: Gleich ob Sie eine Reihe auf Konvergenz untersuchen, ein Integral ausrechnen (per „Kopf“, nicht per „Knopf“), einen kleinen Beweis oder ein Gegenbeispiel zu einer Vermutung selbst finden, ein lineares Gleichungssystem oder eine Differentialgleichung lösen - wenn die Aufgabe für Sie hinreichend schwierig war und Sie sie aus eigener Kraft lösen konnten, dann werden Sie Freude über einen solchen Erfolg verspüren.
Lassen Sie sich diesen Spaß an der Mathematik durch nichts und durch niemanden verderben! Dann wird Ihnen das Mathematikstudium - fast unabhängig von den Inhalten - zu einer methodischen Schlüsselqualifikation verhelfen, auf Grund derer sich Ihnen sowohl klassische Berufsfelder als auch in typischen neuen Berufsfeldern zur Zeit ausgezeichnete Berufsmöglichkeiten bieten.
Die mathematischen Anfängervorlesungen sollten eigentlich für die Studierenden ein aufregendes Erlebnis sein, indem sie Einblicke in die Entwicklung der Mathematik seit Pythagoras und Euklid, über Leibniz und Newton bis hin zu modernen Fragestellungen und den heutigen Forschungen vermitteln, und indem sie die Rolle der Mathematik in der Geistesgeschichte und ihre Bedeutung für uns heute herausstellen. Manchmal gelingt es, dieses ideale Unterrichtsziel wenigstens teilweise zu erreichen.
Oft überwiegen jedoch für die Anfänger*innen zunächst die Schwierigkeiten im Detail. Wenn Sie noch einen Leistungskurs in Mathematik besucht haben, so werden Sie manchen Schulstoff hier nochmals in vertiefter Form vorfinden; das wird Ihnen die Überwindung der Anfangsschwierigkeiten erleichtern. Einige von Ihnen, die einen besonders guten Schulunterricht genossen haben, werden vielleicht anfangs sogar meinen, dass ihnen nichts Neues geboten wird. Werden Sie dann nicht ungeduldig und verpassen Sie nicht den Moment, der wahrscheinlich bald kommt, in dem der Vorlesungsstoff doch über Ihre Vorkenntnisse hinausgeht. Oft wird es auch so sein, dass Sie von bestimmten mathematischen Begriffen und Sachverhalten zwar schon in der Schule gehört haben, dass diese aber hier genauer und vollständiger behandelt werden. Die Mathematik, wie sie Ihnen hier an der Universität entgegentreten wird, kann nur bedingt mit der Schulmathematik verglichen werden. Sie ist gekennzeichnet durch:
- den axiomatischen Aufbau,
- die präzisierte mathematische Sprache sowie
- den hohen Abstraktionsgrad.
Der axiomatisch-deduktive Aufbau und die Verwendung abstrakter Begriffsbildungen sind in den Grundvorlesungen zwar nicht unentbehrlich, aber doch heute weitgehend üblich geworden. Diese Denkweise ist entstanden bei der Lösung der großen klassischen Probleme der Mathematik, und sie hat sich bewährt in dem Bestreben, die entwickelten Theorien in einem möglichst großen Bereich gültig und anwendbar zu machen. In der Schule ist eine konsequente axiomatische Darstellung der Mathematik aus didaktischen Gründen nicht möglich. Deshalb ist für Sie an der Universität in der Regel eine längere Eingewöhnungszeit erforderlich, um sich damit vertraut zu machen. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass es auch Gefahren in sich birgt, wenn Sie in den Anfangssemestern ausschließlich mit fertigen Theorien in axiomatisch-deduktivem Aufbau konfrontiert werden. Die Gefahr dabei ist nämlich, dass Sie die ursprünglichen Probleme, aus denen sich diese Theorien entwickelt haben, nicht erkennen und dass Sie die Ihnen dargebotene Theorie als Selbstzweck und als den eigentlichen Inhalt mathematischer Forschung missverstehen. Leider ist solches Missverständnis heute nicht selten und beginnt sogar, sich in den Lehrplänen und Schulbüchern auszuwirken. Lassen Sie sich dadurch nicht beeindrucken; suchen Sie stets nach der Motivation und dem historischen Hintergrund der Ihnen in der Vorlesung gebotenen Theorie und fragen Sie auch die Dozent*innen danach. Eine elegante Theorie ist stets nur ein Endzustand in einer durch konkrete Probleme veranlassten Entwicklung.
Für manche kann der Übergang vom Schulunterricht in die mathematische Anfängervorlesung zu einem Schock führen, der sich nur schwer überwinden lässt. Der Schulunterricht orientiert sich oft noch an Rechentechniken und Verfahren. In der Universität steht jedoch die Analyse von abstrakten Strukturen und Prinzipien im Vordergrund. Dies erfordert eine Umstellung. Mangelnde Vorkenntnisse aus der Schule könnten teilweise für Umstellungsschwierigkeiten verantwortlich sein. Zwar sind unsere Grundvorlesungen in der Regel so aufgebaut, dass im formalen Sinne keine Vorkenntnisse vorausgesetzt werden; tatsächlich wird jedoch von der Annahme ausgegangen, dass Sie mit mathematischen Gegenständen und Methoden aus dem Schulunterricht hinreichend vertraut sind. Das spiegelt sich in der Art und Weise der Darbietung und in der Geschwindigkeit des Vorgehens wider. Aus diesem Grunde sind gute Schulkenntnisse und in der Schule erworbene Fertigkeiten sehr nützlich.
Allgemeine Rezepte zur Überwindung der Anfangsschwierigkeiten gibt es nicht. Jedenfalls lässt sich sagen: Ein erfolgreiches Studium der Mathematik erfordert (eine gewisse spezifische) Begabung, echtes Interesse und die Bereitschaft, ausdauernd und konzentriert arbeiten zu können. Wenn mindestens eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt ist, wird das Mathematikstudium früher oder später zu einer schwer zu ertragenden Belastung oder Enttäuschung.
Auch an dieser Stelle sei nochmal auf den Besuch des mathematischen Vorkurses der Fachschaft hingewiesen.